Lexikon

Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergl., sowie für Schule und Haus, bearbeitet von Max Heiden, Stuttgart 1904

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Eintrag: Arabischer Stil
Arabischer Stil, die von dem Auftreten Mohammeds bis gegen das Ende des 9. Jahrhunderts vorzugsweise in Spanien herrschende Richtung der Mohammedaner, aus welcher sich später der während der ganzen Blütezeit des Mittelalters herrschende maurische Stil entwickelte. Die Araber entbehrten einer nationalen Kunst. Die Religion, welche sonst überall die Grundlagen für die Architektur und alle anderen Künste bildet, konnte es dort nicht werden, weil weder der ursprüngliche einfache Gestirnkultus, noch der spätere Götzendienst dem wandernden Nomadenvolke Gelegenheit zu bedeutenden Tempelbauten gab und auch die geringfügigen Bedürfnisse des Lebens keine Veranlassung zur Ausbildung eines etwaigen Kunsttriebes boten. Ihre stets regen Handelsbeziehungen zu Aegypten, Phönizien, Persien und Indien und später zu China und Japan machten sie mit allen Kostbarkeiten der alten Welt und ihren Kulturen bekannt, indessen liess ihr kriegerischer Geist und die Interessen für den Handel, ebensowenig die Prachtliebe für die Benutzung der fremden Artikel, als auch das Streben zur Nachahmung bei ihnen aufkommen. Es nehmen demnach die Araber, als sie dem Gebote Mohammeds (im 7. Jahrhdrt. n. Chr.) folgend, den Islam in alle Welt trugen, aus ihrer Heimat keine nennenswerte Kultur mit, sondern fanden solche überall vor und machten sie ihren wecken nutzbar. Die hochentwickelten Kunstformen, welche sie auf ihren gemachten Eroberungen in Aegypten, Syrien, Mesopotamien, Persien und Indien kennen lernten, wurden ihnen nicht nur zu eigen, sondern sie förderten deren Fortentwickelung in ihrem Geiste, und wurden, wo sie ihre Herrschaft befestigt hatten, eifrige Pfleger der Künste und Wissenschaften. So entwickelte sich aus einem Gemisch verschiedener Elemente erst allmählich der arabisch-maurische Stil in dem maurischen Spanien und den unter seinem Einfluss stehenden Ländergebieten in Nordafrika und Sizilien, der im 13. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreicht und im 15. Jahrhundert allgemein zurücktritt.
Der eigentliche Grundzug des arabischen Ornaments beruht auf einer gesetzmässigen geometrischen Linienführung (s. Arabesken), die den nüchternen berechnenden Anschauungen des arabischen Handelsmannes am meisten entspricht, wozu er auch durch den Gestirnkultus und die daraus entspringende Vorliebe für Astronomie am meisten hinneigt (s. Abb. 23). Gefördert wird dieses Streben noch durch den nach dem Verbot Mohammeds gänzlichen Ausfall bildlicher Darstellungen. Wo der Araber solche im Flächenmuster vorfindet, beraubt er sie ihres natürlichen Wesens, stilisiert mit gleicher Meisterschaft die reichlich benutzten Blätter und Blüten des Ornaments und schafft so eine einzig dastehende Formenwelt der reizvollsten Erscheinungen, die sich nirgends eindrucksvoller offenbart, als in den reichen seidenen und golddurchwirkten Prachtstoffen des 13. und 14. Jahrhunderts (vergl. die Darstellungen auf Tafel III). Sehr frühzeitig kam zu alledem noch die Neigung des Arabers zur Symbolik (vergl. den Artikel Adler und Baum) und die Vorliebe für Spruchbildung, welche letztere in den steifen geradlinigen kufischen Schriftzügen und dem späteren sogenannten Neschi, der flüssigen Kursivschrift, ihren Ausdruck findet (s. Abb. 24-25) Diese Inschriften geben einen Anhalt für das Alter des Gewebes, wenn sie den Namen des jeweiligen Herrschers oder Trägers des Gewandes enthalten, für welchen der Stoff gewebt wurde oft drücken sie aber nur Segenssprüche aus dem Koran aus, zuweilen sind die Schriftzüse wiederum nur als Ornament verwendet. (Vergl. hierzu die oberen Flügeldecken des Adlers in Abb. 9, die Begleitränder zwischen den breiteren Bandstreifen des Stoffes in Abb. 23 u.a.a.O.)
Derartige Schriftstreifen, welche schon unter der Hand des schriftunkundigen Arabers rein als Verzierung behandelt sind, werden natürlich später in Europa gänzlich zu Bandmustern, wie dies schon an späteren orientalischen Teppichen wahrzunehmen ist. Ein Zeichen seiner ursprünglichen einfachen Auffassung hat uns der Araber noch in den Vorhängen und sogen. Gebetteppichen (s. d.) hinterlassen, wo er Säulen und Bogenstellung seiner Gebetnische, oft mit der hängenden Ampel (vergl. Abb. 26), in das Flachmuster hinübergenommen hat.
Abbildungen:

Abb. 23 Arabisches Stoffmuster nach einer Darstellung aus: Portefeuille des arts decoratifs tissus, PL 256. Original Seidenstoff in Bunt auf rotem Grunde; spanisch-maurisch 15. Jahrhdrt.

Abb. 24 Arabisches Stoffmuster nach einer Darstellung aus: Paul Schulze, Ueber Gewebemuster früherer Jahrhunderte, Leipzig 1893, S. 25. Original: Alexandrien (?) 12.-13 Jahrhundert in der Königl. Gewebesammlung Krefeld. Der Stoff wechselt in farbigen Seidenstreifen ab, auf welchen in Gold broschiert spitzovale Palmetten, kleine Tiere and Halbmonde; die Inschrift auf dem zweiten breiteren Streifen lautet: "assulthan alam" oder "el Sultan el alim", d. h. der weise Sultan.

Abb. 25 Originalaufnahme aus dem Kunstgewerbemuseum in Leipzig: Endigung eines Leinenhandtuches, mit querlaufender Borte in violettem Garn im sogen. Strichstich doppelseitig gestickt (s. Holbeintechnik ), Muster aus Bäumchen (s. Bäumchenmuster ) mit paarweise zu einander gekehrten Vögeln dar- unter Felder mit arabischen Inschriften in ornamentaler Behandlung. Arabisch 15. Jahrhdrt.

Abb. 26 Arabische Bogenstellung nach einer Darstellung aus Kumsch, Muster orientalischer Gewebe und Druckstoffe, Tafel 7, Leipzig 1893. Original in einem Seidenvorhang, Türkei 17. Jahrhundert.

Abb. 9 Adler nach einer Darstellung aus: Heiden, Motive, Blatt 114, Leipzig 1891. Original in einem orientalischen Seidengewebe des 10. bis 11, Jahrhunderts im Königl. Kunstgewerbe-Museum zu Berlin.

Abb. Tafel III