Theatermuseum
30159 Hannover
Prinzenstraße 9

Alles frei erfunden - Walter Kempowskis „Chronik“

Laufzeit: 23. April 2009 bis 21. Juni 2009

„Und dies lag mir am Herzen: Wenn hier Familiengeschichte geschrieben wird, dann kann es nicht deren Sinn sein, nur allerhand schöne und wahre oder halbwahre Geschichten zu erzählen. „De mortuis nihil nisi bene“, heißt es; über Tote soll man nichts erzählen, wenn es nicht in guter Absicht geschieht. Gute Absicht kann aber nur sein, wenn man sich bemüht, alles nach besten Kräften ins rechte Licht zu rücken. Eine Geschichtsschreibung, die nur Gutes und Angenehmes überliefert wäre tendenziös und im höchsten Grade langweilig, sie wäre nutzlos, ja, gefährlich. Wie sollen die Nachkommen über ihre Verfehlungen denken, wenn sie ihre Vorfahren als lichte, gottähnliche Gestalten objektiviert sehen müssen! Zum Menschenleben gehört Dunkles und Helles, und was ein Mensch wird, das wird er aus beidem.

Natürlich ist Geschichtsschreibung immer tendenziös. Ein Mittel, die Tendenz nicht allzu sehr herrschen zu lassen, sind die Quellen. Ich ließ in diesem Band viele verschiedene Leute zu Wort kommen. Indem ein jeder das Seine dazu beiträgt, wird das gesamte Bild farbiger und echter. Leider ging sehr viele verloren.
Wir hatten in Rostock zwei ganze Kisten voller Familienerinnerungsstücke. Dr. Grosschopff hatte das zusammengetragen. Da waren vollständige Ahnentafeln, Briefe, Tagebücher. Sogar die Bronzemarke von Onkel Grosschoffs Urne lag darin, er hatte verfügt, man sollte ihn verbrennen und seine Asche ins Meer streuen. Auf unserem Rauchtisch stand ein alter Tabakkasten aus Mahagoni, aus ihm hatte sich der alte Grosschopff in Güstrow so manche Pfeife gestopft. Diese Kisten wurden bei unserer Verhaftung vernichtet. Die Hinterlassenschaft von Tante Mieke aber, die ja erst vor 4 Jahren starb, wurde rücksichtslos von den dortigen Schwestern des Altersheims verbrannt, obwohl ich meine Adresse hinterlassen hatte. Nur ganz wenige Bilder sind erhalten geblieben. Die wichtigste Bilder- und Erinnerungsquelle ist unser lieber Onkel Fredy in Berlin. Ich habe viel mit ihm korrespondiert, er ist ja der Vetter unseres Vaters und kennt die ganze Familie Kempowski sehr genau (genauer, als er es zugeben will!). Immer wieder legte mir Onkel Fredy ein Bild ein, nach und nach konnte ich aus seinen Briefen einen großen, umfassenden Bericht zusammenstellen. Eines Tages schickte er mir sogar 2 alte Gesangbücher aus dem Hause Kempowski in Königsberg und einen alten ledernen Sprüchekasten. Eines der Gesangbücher habe ich meinem Bruder Robert geschenkt, die andern beiden habe ich hier in Breddorf. Unsere Mutter in Hamburg besitzt noch einen Messing-Tabakbehälter nach holländischer Art, weiter unten habe ich ihn abgebildet. Das ist der Rest, Gott sei Dank der Rest, möchte man sagen, denn sonst wäre dieser Bericht wegen zu großen Umfangs nie zustande gekommen.
Wir überschätzen nicht die Leistungen unserer Vorfahren, wir bilden uns nichts auf sie ein. Und doch ist es unsere ganze Freude, daß hier nun ein kleiner Junge aufwächst, der wiederum den Namen Kempowski tragen darf, Karl-Friedrich, unser lieber Sohn.“ Walter Kempowski, 1963


Im April 2009 wäre Walter Kempowski 80 Jahre alt geworden. Das Theatermuseum nimmt dies zum Anlaß einer großen Ausstellung und einer Publikation.

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