IM BLICK - DAS FIGURENALPHABET DES MEISTERS E.S.

Laufzeit: 21. Oktober 2016 bis 06. November 2016

IM BLICK ist ein neues Format der Staatlichen Graphischen Sammlung München. In der Ab- und Aufbauphase zwischen den großen Ausstellungen werden im Vitrinengang zukünftig Studio-Präsentation gezeigt: Besonderheiten aus dem reichen Bestand der Staatlichen Graphischen Sammlung München, der über 400.000 Miniaturen, Zeichnungen und Druckgraphiken umfasst.
Gemeinsam ist diesen kleinen Präsentationen, dass sie sich auf zwölf Vitrinen konzentrieren und in überschaubare Werkgruppen exquisite und markante Bestandteile der Sammlung zugänglich machen.

Das Figurenalphabet

23 Einzelblätter mit gotischen Minuskeln (Kleinbuchstaben) bilden das Figurenalphabet. (Im Vergleich zum heutigen Alphabet entfallen j [= i] sowie u und w [= v]). Zusammengesetzt sind die Buchstaben aus menschlichen Figuren, Personen hohen wie niedrigen Standes, Heiligen, realen Tieren und Fabelwesen. Diese fügen sich in teils abenteuerlichen Formationen in die Silhouette der Buchstaben.

Die Folge geht formal und motivisch wohl auf einen um 1400 entstandenen böhmischen Prototyp zurück, den der Meister E. S. um 1466/47 spielerisch umgearbeitet hat. Manche Buchstaben sind getreu übernommen, andere völlig neu gestaltet. Die Folge wurde einmal als »Buntes Zeug« (Max Geisberg 1909) bezeichnet. Tatsächlich bietet sie ein kleines Kompendium der spätmittelalterlichen Welt. Heilige und deren Legenden stehen neben turnierenden Rittern. Bauern und Personen des niederen Standes kommen als Elendsgestalten ebenso vor wie elegante Adlige, die ihre gespreizten Auftritte haben. »Wilde Leute« kämpfen gegeneinander, akrobatisch sind Drachen und dämonische Fabelwesen ineinander verschlungen. Gefährlich bewaffnete Osmanen bekunden den sinistren Reiz und die Bedrohlichkeit des Fremden. Mit spöttischem Unterton werden Mönche und Nonnen in ihrer bigotten Verlogenheit vorgeführt. Narren warnen vor den Gefahren der fleischlichen Begierde und bekunden die Erlösungsbedürftigkeit einer gestörten Weltordnung. Keineswegs sind die Buchstaben Scherzbilder. Der spätmittelalterliche Mensch las sie wohl als Symbole des Ringens zwischen Gut und Böse.

Über die Klientel dieser kleinformatigen großartigen Erfindungen kann man nur spekulieren. Allein die antiklerikalen Spitzen machen die Folge obsolet für den freien Verkauf. Ein intellektuelles städtisches Publikum, wie es mit Hartmann Schedel verbürgt ist, mag seine Freude an den Stichen gehabt haben, die belehren und zugleich einen knisternden ästhetischen Reiz versprühen. Vielleicht haben die Einzelbuchstaben zu einem spielerischen Umgang angeregt – wurde im späten 15. Jahrhundert Scrabble erfunden? Natürlicher Verschleiß mag der Grund sein, dass sich nur wenige Exemplare erhalten haben. München ist die einzige Sammlung weltweit, die alle 23 Buchstaben besitzt. Ihre Druckqualität ist durchgehend sensationell: Max Lehrs beschreibt die Münchner Exemplare als »prachtvoll«. Ihre Herkunft ist nicht mehr sicher zu eruieren. Die Drucke gehören zum alten Bestand und wurden vor 1822 inventarisiert. Möglicherweise wurden sie aus der Münchner Hofbibliothek überwiesen. Die quirlige Mischung aus Ernst und Scherz, Drolerie und spöttischem Tadel, Ornament und Heilsgeschichte, vorgetragen in handwerklicher Perfektion und atemraubender Druckqualität, machen die Folge auch für den heutigen Betrachter zu einem besonderen Erlebnis.



Meister ohne Namen

Der Meister E. S. ist der bedeutendste deutsche Kupferstecher der Spätgotik. Über seine Person weiß man bis heute nichts, der Künstler ist einzig durch sein Werk bekannt. Mehrere Indizien (stilistische Eigenheiten, alemannische Inschriften, Wasserzeichen, Wappen) sprechen dafür, dass er Mitte des 15. Jahrhunderts am Oberrhein und in der Nordschweiz tätig war. Über 300 Kupferstiche haben sich erhalten, weitere 200 können anhand von Kopien und unvollständig überlieferten Folgen rekonstruiert werden. Wenige Blätter der Spätzeit, 1466 und 1467 datiert, tragen die Buchstaben ES. Aus dieser Buchstabenkombination leitet sich sein »Notname« ab, ohne dass es sich um die Initialen seines Namens handeln müsste. Bald nach 1467 dürfte der Anonymus gestorben sein.

Kategorien:
Kunst | 15. Jahrhundert |  Ausstellungen im Bundesland Bayern | Ort:  München |
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