Lexikon

Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergl., sowie für Schule und Haus, bearbeitet von Max Heiden, Stuttgart 1904

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Eintrag: Strickerei
Strickerei (franz.: tricotage, estame; engl.: knitting; ital.: far lavori a magli, far calze; span.: hazer media) Nadelarbeit, bestehend in dem Flechten oder in der künstlichen Verschlingung eines einzigen Fadens in Maschen ohne Knoten, wodurch die Arbeit das Ansehen eines gewebten Stoffes erhält, dessen Faden sich aber wieder aufziehen oder auffädeln und von Neuem bearbeiten lässt, der sich auch, ohne zu zerreissen, ausdehnt und sich wieder zusammenzieht. as Stricken wurde um 1550 erfunden; es wird berichtet, dass Heinrich VIII. von England um 1547 ein Paar "Tricots" aus Spanien bekommen habe; in Frankreich erschien Heinrich II. zuerst 1559 in Tricots; William Rider war 1564 der erste Stricker in England. 1589 hatte William Lee in Cambridge den Strumpfstrickstuhl (s. Wirkerei) erfunden, musste aber vor den Handstrickern nach Frankreich fliehen, wo er sich zu Rouen niederliess und dort mehrere Jahre mit Glück arbeitete, starb aber zu Paris in einer sehr dürftigen Lage. Zwei seiner Leute blieben in Frankreich, die übrigen kehrten nach England zurück, um den ersten Grund zur Strumpfwirkerei zu legen, welche lange Zeit dort allein heimisch war. Im Jahre 1614 Hess der venetianische Gesandte heimlich den ersten Stuhl nebst Arbeitern nach Venedig schaffen und 1664 wurde die erste Strumpfmanufaktur auf einem Schlosse im Gehölze von Boulogne, nahe bei Paris errichtet. Nach Deutschland wurde (zuerst in Sachsen) der Strumpfwirkstuhl durch David Esche von Limbach zu Anfang des 18. Jahrh. eingeführt.
Die Strickerei besteht aus Schlingen, auch Maschen genannt, die mittels Fadens und zweier Nadeln gebildet werden. Zur Ausführung kreis- oder zylinderförmiger Gegenstände nimmt man 4 oder 5 Nadeln. Mit einer auf linker Handnadel durch Knüpfen dargestellten Masche wird durch die in Jer rechten Hand befindlichen Nadel eine neue Masche gebildet und von einer zur andern Nadel abgehoben. Man nennt "Maschen anlegen" oder "anschlagen" das Bilden der Grundmaschen, auf welchen die Arbeit dann ausgeführt wird. Der Faden wird in Deutscialand hierbei über die linke Hand gelegt und zwischen dem fünften und vierten Finger, von aussen nach der inneren Hand, zwischen dem vierten und dritten Finger, aus und zweimal um den kleinen Finger laufen gelassen. In Frankreich, England und Italien läuft der Faden einfach über die linke Hand. Es gibt vier Arten, die Maschen anzuschlagen: der Kreuzanschlag auf viererlei Weise, das Auf- stricken, das Aufschleifen auf zweierlei Weise und den Oehrenanschlag. Durch viele Fadenverschlingungen entstehen auch verschiedene Maschen : d. h. glatte oder rechte Maschen, wonach man von Glattstricken und Rechtsstricken spricht, verkehrte oder linke Maschen, womit Krausstrickerei oder Linksstrickerei ausgeführt wird. Das Abwechseln beider Verfahren heisst Verdrehen. Durch Hohlmaschen werden Löcher in festgestrickten Flächen beim Musterstricken gebildet, sie entstehen, indem dqr Faden über die Nadel gelegt und die so entstandene Schlinge bei der nächsten Reihe als Masche abgestrickt wird. In Verbindung mit anderen Maschen werden auch Knötchen oder Knöpfchen maschen gebildet, die wie Schnürmuster aufliegen. Kettenmaschen werden am Rande solcher Arbeiten angeblendet, die man streifenweise ausführt: sie bilden eine Kette, welche den Kanten der Strickerei mehr Festigkeit und Gleichheit gibt; auch werden sie zum Zwecke des leichteren Auffassens der Endmaschen gemacht. Eine Masche von der linken Nadel auf die rechte gleiten lassen, ohne sie abzustricken, heisst abheben; je nach dem Zusammenfassen der Maschen spricht man von glatt, verkehrt, glatt verkehrt oder verkehrt verdreht abnehmen. Unter Zunehmen für Erweiterung eines Strumpfes versteht man das Fassen nur einer Masche und das Anknüpfen mehrerer daran; ebenso gehören das Aufnehmen oder Maschen fallen lassen zur Strickweise für Strümpfe
Das Ausbessern einer Strickerei geschieht durch Stopfen (s. d.) ist ein Teil der Strickerei durch neue zu ersetzen, so werden die Maschen des neuen Stückes mit jenen des alten mit der Nähnadel und dem Faden der Strickerei verbunden man bezeichnet dies Verfahren als das Anmaschen. Zum Stricken grosser, sich nicht schliessender Stücke sind auch 50 cm lange Nadeln im Gebrauch, welche an einem Ende in einen Knopf auslaufen, um das Hinabgleiten der Maschen zu verhindern. Bei Benützung von Bahmen werden durch solches Handstricken selbst grosse, breite und lange Decken angefertigt; die Strumpfstricker bedienten sich auch eines Strumpfbrettes. Im Anfang des 19. Jahrhdts. waren gestrickte Spitzen sehr modern. Vgl. Dillmont, Encyklopädie der weibl. Handarbeiten, S. 229-286; August Demmin, Die Wirk- und Webekunst, Wiesbaden, S. 143-148; Georgens, Das Stricken, Leipzig 1882-85; Obermayer-Wallner, Die Technik der Kunststrickerei, Wien 1896.