Lexikon

Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergl., sowie für Schule und Haus, bearbeitet von Max Heiden, Stuttgart 1904

Gesamtindex
Eintrag: Aachen
Aachen, Hauptstadt des gleichnamigen Regb. der preuss. Rheinprovinz: Hauptsitz der Tuch- und Buckskinfabrikation in Deutschland Aus überseeischer Wolle (vom Kapland, Buenos-Aires u. s. w.) werden in mehr als
40 Anstalten etwa 100 000 kg. Grarn gesponnen, in 138 Betrieben zu A. und Burtscheid bei A. mit 80 Dampfmaschinen von 3000 Pferdekräften und 13 300 Arbeitern jährlich 200000 Stück Tuch im Werte von 36 Mill. Mark erzeugt, wovon für 7 8 Mill. Mark bisher auf amerikanischen Märkten Absatz fand. Die Tuchfabrikation wurde schon im 12. Jahrhundert betrieben; berühmt ist das sogen. Kardinaltuch (s. d.), das für sämtliche hohe Würdenträger der katholischen Kirche hier gewebt wird und dessen Herstellungsweise (besonders das Färbeverfahren) ein Geheimnis der Firma Erckens Söhne in Burtscheid sein soll, sodass dieser seit Jahrhunderten die Lieferungen für den Vatikan übertragen werden.
A. erzeugt auch Sammet-, Leinen- und Posamentierwaren.
Spitzen und verwandte Nadelarbeiten, zum grossen Teil aus Filetarbeiten in weissem Leinen bestehend, sieht A. schon im Mittelalter in Nonnenklöstern für den kirchlichen Gebrauch entstehen; erhalten sind auch durchzogene seidene farbige Filetnetze aus dem 13. und 14. Jahrh. wozu Material und Musterung durch die zu jener Zeit bestehenden regen Handelsbeziehungen A.s mit Venedig über Antwerpen überführt sein werden.
Für Studien älterer Textilien sind von Bedeutung die in den Reliquienschreinen der älteren Kirchen A.s als Umhüllung der Gebeine von Heiligen aufbewahrten Gewebe, und auch vereinzelt Stickereien, welche zur Zeit
Karls des Grossen und in späterer Zeit aus dem Morgenlande kamen. Die wichtigsten im Domschatz sich befindlichen Stoffe sind gelegentlich ihrer öffentlichen Schaustellung, welche alle sieben Jahre (zuletzt 10.-24. Juli 1902) stattfindet, im Interesse des Studiums für Museen gezeichnet worden: die besten Abbildungen hiervon im Kunstgewerbe-Museum zu Berlin. (Ueber Einzelheiten dieser Gewebemuster vgl. den Artikel Weberei, frühes Mittelalter und Tafel II).

Lietratur: Käntzeler, Der die Gebeine Karls d. Gr. enthaltende Behälter. Aachen, 1859; Bock, Der Reliquienschatz des Liebfrauen-Münsters zu A. Aachen 1860; Ders., Das Heiligtum zu A. Köln 1867; Ders., Karls d. Gr. Pfalzkapelle und ihre Kunstschätze. Köln 1866-67; Kessel, Geschichtliche Mitteilungen über die Heiligtümer der Stiftskirche zu A. Köln 1874.
Das Suermond-Museum (Direktor: Dr. A. Kisa) enthält eine reiche Sammlung älterer Gewebe, Stickereien und Spitzen, welche durch das Vermächtnis des Dr. Franz Bock im Jahre 1899 einen bedeutenden Zuwachs erhielt. (Führer: herausgegeben 1902.)
Die Preussische Höhere Fachschule für Textilindustrie (Direktor: Dr. Sigmund Kapff) seit 1884 bestehend, bildet in ihren verschiedenen Abteilungen für Spinnerei, Weberei, Färberei, Appretur und Stopferei, Fabrikanten, Fabrikdirektoren, Dessinateure, Spinner, Färberei- und Textiltechniker, Werkmeister, Einkäufer und Verkäufer aus, wobei vorwiegend die Wollen- und Halbwollenindustrie bevorzugt wird. Der Lehrplan ist in jüngster Zeit derart erweitert worden, dass die Weberei von den ersten Anfangsgründen bis zur selbständigen Fabrikation erlernt werden kann. Die gesamte Ausbildung in der Weberei ist auf drei voneinander getrennte halbjährige Kurse verteilt worden. Das Schulgeld für einen halbjährigen Kursus beträgt für Deutsche 100 Mk., für Ausländer 500 Mk. Ermässigungen und Stipendien werden bedürftigen und befähigten Schülern gewährt.
A. ist der Sitz des Vereins deutscher Seidenzucht, der 6. Sektion der Rheinisch-Westtälischen Textil-Berufsgenossenschaft und eines Vereins deutscher Nadelfabrikanten.