Lexikon

Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergl., sowie für Schule und Haus, bearbeitet von Max Heiden, Stuttgart 1904

Gesamtindex
Eintrag: Wirkwaren
Wirkwaren, Gewirke, Strumpfwaren (engl. knitted web, stocking hose; franz.: tricotage, bas, bonneterie; span.: medias), eigene Arten von Zeugen, welche nicht aus einem durch gekreuzte Fäden gebildeten Gewebe, sondern aus ineinandergreifenden Maschen bestehen, wozu ein einziger Faden den Stoff geliefert hat, und welche demnach auch durch blosses Ziehen an diesem Faden wieder ganz aufgetan werden können; nach Art der Maschenbildung unterscheidet man Kulierwaren (fast genau so, wie beim Stricken mit der Hand) und Kettenwaren. Wirkwaren sind demnach Maschengewebe (tissu à maile-loqse fabrics), die durch Reihen gleicher, nebenander liegender Fadenschleifen gebildet und untereinander verschlungen sind. Derartige Stoffbildungen oder Maschengewebe werden auch hergestellt durch Stricken und Häkeln. Aus dem Stricken (s. d.) ging die Maschinenwirkerei hervor, indem Lee 1589 in England hierzu eine sinnreiche Maschine, den gewöhnlichen Strumpfwirkerstuhl erfand, welcher dasselbe Maschenwerk wie die Hand liefert, aber auf andere Weise, ohne irgendwie die Handgriffe des Strickens nachzuahmen. Auf den gewöhnlichen Strumpfstühlen können nur breite Flächen gewirkt werden, die dann, wenn sie runde schlauchartige Stücke geben sollen, zusammengenäht werden müssen. Man hat jetzt aber auch Strumpfmaschinen (von F. A. Eisenstuck in Chemnitz erfunden), welche selbsttätig hohle Stücke, wie Strümpfe, Hosen, Socken, Mützen u. dgl. ganz fertig und richtig geformt abliefern (reguläre Ware). Auch die Breitwirkstühle sind in Sachsen sehr vervollkommnet worden. Ausserdem sind zu dem Maschinenapparat noch hinzugekommen die Rundstuhle, welche hauptsächlich der Massenherstellung wohlfeiler Baumwollstrümpfe dienen und zumeist von Stuttgarter Fabriken in Mengen hergestellt werden. Dieselben erzeugen nur gleichweite Schläuche, welchen durch Zerschneiden, Ausschneiden, Zusammennähen und endlich feuchtes Ausarbeiten über hölzernen Formen eine dauerlose Strumpfform gegeben wird (geschnittene Ware). Die französischen E-undstühle sind vorzüglicher und leistungsfähiger als die englischen. Die Maschinenbauerei hat auch für Strickmaschinen zum Hausgebrauch gesorgt, der früheren Goffeschen ist jetzt die Lambsche gefolgt, deren Leistungen sehr gelobt werden. - Gute W. müssen elastisch sein, sich dem Körper eng anschmiegen und dabei so dicht sein, dass sie eine vollkommene Decke bilden; sie heissen in diesem Falle nicht geschlossene, sondern gezwungene oder hungerige; ist der Faden zu stark und die Ware infolgedessen zu dick und dicht, volle oder völlige. Hinsichtlich des Materials, wie der Arten und Sorten von W. besteht eine grosse Mannigfaltigkeit; man verarbeitet Wolle, Baumwolle, Leinen und Seide, letztere beiden Stoffe namentlich zu Strümpfen und Handschuhen; auch verwendet man in neuerer Zeit viel Shoddygarne.

Die wesentlichen Teile des Kulierstuhle s welche sich gegenseitig ergänzen und die TTirkerei nach verschiedenen Methoden bewerkstelligen, sind: die Nadel, die Platine und die Presse. Die Verrichtungen zur Bildung einer neuen Maschenreihe bestehen in dem Anschlagen, Orlet-Schlagen oder dem Einschliessen. Ferner kommen hinzu: das Kulieren, das Verteilen oder Partagieren, das Vorbringen der Schleifen, Ausstreichen des Platinenwerks, Pressen der Nadeln, Auftragen der Ware, Abschlagen der Ware. Vom Handwirkstuhl werden unterschieden: Rösschen-, Walzen- und Handkulierstuhl ohne Schwingen. Reguläre Kulierwaren erhalten ihre Gestalt als Grebrauchsgegenstand während des Wirkens; als geschnittene Waren werden sie aus grossen Stoffstücken herausgeschnitten, entweder mit der Hand, oder mittels Schneidstempel herausgeschlagen oder durch Schneidformen zwischen Pressen. Nach Art der Maschenform unterscheidet man Glatte und gemusterte Ware. Glatte Kulierware mit der einfachsten Maschenform wird bisweilen mit einer Futterdecke versehen. (Eingekämmte Ware oder Pelz.) Auch können Farbmuster in mannigfaltiger Weise erzeugt werden (Ringelware, langgemusterte, Jacquardware, unterlegte Farbmuster), pattierte Ware und überdruckte und aufgenähte Verzierungen durch Sticken, Brodieren oder Bordieren (broder - embroider).

Gemusterte Kulierwaren mit Erhöhungen, Fadenanhäufungen oder Oeffnungen in der Ware bedürfen zu ihrer Herstellung besonderer Maschinen, der Maschinenstühle, und heissen daher auch Maschinenwaren. Die Bänder- oder Fangmaschine mit 2 Nadelreihen liefert: 1. sog. Rechts- und Rechtsware, die man beim Handstricken erhält, wenn eine Masche glatt die nächste verkehrt gestrickt wird, auch Bänderware. 2. Fangware, bei der einzelne Doppelmaschen gebildet werden, 3. Links- und Linksware, Strickware, 4. Fangplüsch. Mittels der Pressmaschine, Blechmaschine werden Pressmuster erzeugt, unter Anwendung verschiedener farbiger Fäden Farbpressmuster. Die Stech- oder Petinetmaschine liefert durchbrochene Waren, ebenso in weitgehender Weise die Deckmaschine, Haken-, Kanten-, Bajonett-, Ananas- oder Tüllmaschine. Durch Decken, oder Aufdecken, Ueberhängen einzelner Maschen auf andere Nadeln mittels der Nadeln einer Deckmaschine werden dichtere Stellen und lockere Stellen mit Oeffnungen abwechselnd erzeugt, sodass freie Muster entstehen oder regelmässig wiederkehrende (Ananas).

Die Kettenwaren werden ebenfalls eingeteilt in glatte und gemusterte. Zu den glatten Kettenwaren gehören:
1. Dichte Waren, mit nur einer Maschine gearbeitet (halber, einfacher Trikot, einlegiger Atlas, Kettentuch und englisch Leder),
2. Dichte Kettenwaren mit zwei oder mehreren Maschinen gearbeitet (einfacher Trikot, Atlas [Atlastrikot], wollener Sammet, Plüsch, Pelz, Sammet [seidener Sammet], Trikot mit Futter, Tuch mit Futter)
3. Plattierte Kettenwaren;
4. durchbrochene Kettenwaren, Filetwaren;
5. Schusskettenwaren. Wirkmuster in Kettenwaren sind zumeist Pressmuster.

Mechanische Wirkerei Gegenüber den Handwirkstühlen, bei denen eine Beihe von Arbeiten durch den Arbeiter vorgenommen werden müssen, werden die einzelnen Arbeiten an den mechanischen Stühlen durch Zusammenwirken der einzelnen Maschinenteile ohne Mithilfe des Arbeiters durchgeführt. Die mechanischen Kulierstühle werden als Rundkulierstühle gebaut. Man unterscheidet nach der Nadelstellung französische und englische. Der Antrieb erfolgt ausser durch Elementarkraft häufiof auch durch die Hand des Arbeiters.
Besonderer Wert ist auf selbsttätige Abstellung bei Eintritt von Fadenbrüchen, Einlauf zu starker Fäden oder Verbiegen von Nadeln gelegt. Durch Abänderung und besondere Zutaten an den Stühlen, wird die Herstellung der übrigen Wirkwaren auch auf Rundstühlen ermöglicht. Es werden gebaut Französische Rundstühle für Plüschware und für Futterwaren; für Wirkmuster: die Rund- Ränder- oder Rund-Fangstühle (genau nach dem Vorbilde des Handränderstuhls entstanden); Stühle für Links- und Linksware (auch Rundstrickstühle oder Rundleiern genannt); Rundstühle zum Wirken von Pressmustern. Englische Rundkulierstühle werden gebaut, teils mit feststehenden, teils beweglichen Nadeln für glatte Waren; ferner Rundwirkstühle zur Herstellung von Wirkmustern, Rechts- und Rechts- und Fangwaren, durch kleine Aenderung auch für Fang- Perlware für Links- und Linksware und für Pressmuster. Flache mechanische Kulierstühle gelangten erst zu häufigerer Einführung, nachdem sie mit selbsttätiger Windevorrichtung und zur Herstellung regulärer Waren eingerichtet wurden. Sie sind auch zur Herstellung von Wirkmustern als Ränder- und Fangstühle, sowie für Links- und Linksware. Dagegen sind Pressmuster an flachen mechanischen Stühlen nicht so leicht herzustellen als an Rundstühlen. Von Deckmaschinenmustern wird nur das Ananasmuster mechanisch hergestellt. (Vgl. Willkomm, Technologie der Wirkerei )

Mechanische Kettenstühle zur Herstellung fast ausschliesslich grosser Stoffstücke sind fast nur als flache Stühle in Verwendung.

Flache mechanische Kettenstühle für glatte Waren ähneln in ihrer Anordnung ganz den Handstühlen, werden aber auch mit Jacquardgetriebe (Mechanismus wie in der Weberei) gebaut.

Von den flachen mechanischen Kettenstühlen zur Herstellung von Wirkmustern, Ränder- und Fangmustern hat der Fangkettenstuhl (Pasche 1- oder Polkamaschine) weitgehende Verwendung gefunden.

Strickmaschinen sind Wirkmaschinen, bei denen die Maschenbildung und die Vollendung der Produkte nach Art des Handstrickens geschieht. Die Pundstrickmaschinen ermöglichen die Herstellung der Strumpflänge, des Fusses und der Ferse auf maschinellem Wege. (Rundstrickmaschine von Mac Narry.) Eine Verbesserung der amerikanischen Tuttlemaschine ist die Rundstrickmaschine von Biernatzki, beides Abänderungen der Bickfordmaschine und zwar kann mit diesen Verbesserungen auch Rechts- und Rechtsware gearbeitet werden. Am besten entspricht die Strickmaschine von S. W. Lamb dem Bedürfnisse, Strümpfe mit Ferse und Spitze herzustellen, eine flache Strickmaschine, bei der die Nadeln durch Schlossdreiecke oder Heber bewegt werden. Mit ihr lassen sich Wirkwaren mannigfachster Art herstellen, ausser
Ringelware auch Ränderware, Zwei- und Zweiränderware oder Patentränder, sowie Fangware und Pressmuster.
Zur Herstellung von Links- und Linksware werden von M. Ulbricht und Strickmaschinenfabrik in Kappel Maschinen mit Doppelhakennadeln hergestellt. Nur in seltenen Fällen sind die als reguläre Ware benannten Gegenstände einteilig, sondern sie werden meist aus mehreren Teilen zusammengefügt, die auf der Wirkmaschine so geformt sind, dass sie ohne Zerschneiden mit ihren Kanten an einander genäht werden können. Die zu verwendenden Nähte müssen hierbei, ebenso wie bei den geschnittenen Waren, ebenso elastisch sein wie die Ware selbst. Derartige Nähte sind: die Halbenglische Naht oder gewöhnliche Schlingennaht; die Polnische Naht; die Türkische Naht; die Deutsche Naht und die Englische Naht.
Ein fabrikmässiger Betrieb der Wirkerei für den Export findet namentlich in England, einigen Gegenden Deutschlands und in Frankreich statt; in England, als dem ältesten Sitze der Industrie, ist dieselbe sehr umfangreich und ausgebildet. Frankreich zeichnet sich nur durch den speziellen Artikel seidener Strümpfe, sowie Theatertrikots aus Seide und Baumwolle aus, worin es unerreicht dasteht. In Deutschland wird hauptsächlich die Herstellung von W. betrieben in Sachsen (Gegend von Chemnitz) es werden dort vorzugsweise baumwollene Strumpfwaren, sowie wollene, baumwollene, leinene und seidene Handschuhe gefertigt. Aus Burgstädt kommen besonders feine seidene, wollene und baumwollene Jacken, in welchen Artikeln auch Stuttgart Hervorragendes leistet, ebenso Stollberg und Oelsnitz. Für Wollenartikel ist Apolda in Thüringen die bekannte Hauptstadt, ausserdem ist Zeulenroda zu nennen, ferner Nürnberg, Erlangen, Calw und Reutlingen.